Glücksritter: In-Game Käufe als Sprungbrett zum Online-Casino?
27.10.2022 - Einfach nur in Ruhe spielen? In der Gaming-Welt ein frommer Wunsch. Weil in bestimmten Intervallen Kaufanreize aufblinken - für neue Funktionen und noch mehr Spielerfolg. Das Portfolio virtueller Vorteile ist riesig und In-Game-Käufe ganz normal. Aber auch ohne Risiko? Nein, denn der Übergang zum Glücksspiel ist fließend.
In-Game-Käufe: Was ist drin?
Eine neue Rüstung, stärkere Waffen, mühelos ein Level weiterspringen: In Deutschland werden über 60 Prozent der App-Store-Einnahmen über In-App-Käufe generiert. Zu den Einnahmen durch In-Game-Käufe gibt es dagegen kaum Zahlen, weil die Vermarktung über zentrale Vertriebsplattformen wie Google-Playstore fehlt. Sicher ist, Spiele-Anbieter verdienen sehr gut an In-Game-Käufen. Im Sortiment dabei:
- Downloadable Contents (DLCs), wie Missionen, Charaktere oder Level
- digitale Währungen wie Juwelen oder Rohstoffe für harte Euros
- virtuelle Gegenstände wie Rollenspiel-Waffen
- Lootboxen: Kisten mit zufällig zusammengestellten Items
Ganz nebenbei passieren auch mal Fehler zulasten der Nutzer. Wie bei Overwatch 2, wo ein Bug Spieler zu In-Game Käufen zwang: Wer chattete und dabei in der Heldengalerie stöberte, kaufte beim Drücken der Leertaste unfreiwillig irgendwelche Skins. Eine Rückerstattung für die digitalen Gegenstände gibt es nicht - das Geld ist weg.
Twitch-Streamer ohne Maß und Ziel: Trymacs bittet Follower um 12.000 Euro
Bei den Summen, die hierbei im Spiel sind, geht es nicht um Peanuts: So stand Diablo 3 wegen eines Auktionshauses in den Kritik, das virtuelle Gegenstände wie seltene Ausrüstung für vierstellige Summen versteigerte. Doch auch geringere Beträge sind kritisch, wo Jugendliche zur Zielgruppe zählen. Nicht nur diese, auch Erwachsene unterschätzen oft die Höhe der digital getätigten Ausgaben und verlieren den Überblick. Gezahlt wird mit Kreditkarte. Sind die Daten einmal eingegeben, geht das Bezahlen leicht und hürdefrei. Dabei treibt das Thema Ingame-Käufe inzwischen fast absurde Blüten: Trymacs, seines Zeichens einer der erfolgreichsten Twitch-Streamer in Deutschland, hatte bereits 2.000 Euro für In-Game-Käufe investiert. Nicht genug, um bei Clash of Clans weiter zu kommen. Also gab Trymacs seinen Creator Code an und bat seine Fans um 12.000 Euro - mit dem Versprechen, alle Einnahmen später in Clash of Clans zu stecken. Der Haken? Wer als Follower mit Angabe des Codes im Spiel Geld ausgibt, verschafft dem Streamer 5 Prozent der Umsätze. Pikant außerdem: Trymacs, eigentlich gegen Ingame-Käufe, setzt sich gern über seine selbstaufgestellten Regeln hinweg. U. a. hatte der Streamer schon mal 17.000 Euro für FIFA 23 Lootboxen ausgegeben.
Deutsche Gamer haben's: 4,2 Milliarden für In-Game-Käufe in 2021
Drin in diesen Kisten: Zufällig gemischte digitale Spielerkarten - Pay-2-Win-Glücksspiel-Mechaniken mit Suchtpotenzial. Im vorliegenden Fall hatte Trymacs mit Streamer-Kollege MontanaBlack hohe Wetten auf den Inhalt der Lootboxen abgeschlossen. Streamer wie Tanzverbot und Pokimane positionierten sich gegen das Glücksspiel auf Twitch. Auch TV-Stars wie Satiriker Jan Böhmermann und Oliver Pocher kritisieren die Lootboxen. Zudem kommt das bei Lootboxen und In-Game-Währungen die Altersfreigabe auch für Minderjährige einfach zu umschiffen ist. Ganze 4,2 Milliarden Euro gaben deutsche Gamer 2021 für In-Game-Käufe aus, während der Verkauf der Games selbst nur gut eine Milliarde umsetzte. Kein Wunder, dass in diesem Markt kaum Interesse besteht, In-Game-Käufe stärker zu regelmentieren.
Zehntausende sehen beim Zocken am virtuellen Automaten zu
Der Übergang zu Onlineglücksspiel und Casino-Streams ist fließend. Hauptsächlich im Amazon-Streamingportal Twitch unterwegs: Junge Männer unter 35, um Übertragungen von Games wie Fortnite zu gucken, um exorbitante Summen zu spielen - und Streamer wie den Kanadier xQc - als einer von 60.000 Zuschauern - fürs Zocken im Online-Casino zu bezahlen. Den Kuchen teilen sich Glücksspielanbieter, Streamer und Twitch, das über Werbung und Kanal-Abos Einnahmen generiert. Zockten Große wie MontanaBlack und Knossi 2019 am virtuellen Automaten, sahen um die 100.000 dabei zu.
"Nie mehr Geldsorgen!" Von Malta aus weitermachen
Trotzdem geht es in Glücksspielstreams, z. B. von Orangemorange oder Scurrows mit Wohnsitz auf Malta munter weiter. Dort ist man freigiebig bei der Vergabe von Glücksspiel-Lizenzen. Dabei geht es um Millionen, und noch immer halten bestimmte Creators die Casinofahne hoch. Auf der Gamescom eskalierte der Twitch-Szene-Streit zwischen Kritiker Tanzverbot und Orangemorange. Dieser blendet zwar Hinweise wie "Glücksspiel macht süchtig" im Stream ein, aber verteilt trotzdem weiter Werbecodes an Zuschauer. Nie mehr Geldsorgen!, lautet sein Argument. Gegenwind kommt auch vom 300.000 Follower starken Staiy. Nachdem der Creator höchstpersönlich 2.000 Euro - für einen Normalverdiener ein Monatslohn - in einer Woche verzockt hatte, war für ihn Schluss.
Gegensteuern: Jugendschutz aufgerüstet, neuer Glücksspielstaatsvertrag
Mit der Reform des Jugendschutzgesetzes von 2021 kamen auch die Regeln für Lootboxen auf den Prüfstand. Glücksspielähnliche Mechanismen, so das Urteil - die Alterseinstufung wurde angepasst. Seither sind Online-Games mit Lootboxen wie FIFA und dessen kostenpflichtige Kartensets erst ab 18 freigegeben. Und die Online-Casinos? Dort zu spielen, war bislang mit Ausnahme von Schleswig-Holstein illegal. Trotzdem ging das Glücksspiel dank EU-Recht und EU-Lizenzen weiter. Eine rechtliche Grauzone, mit der der neue Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) am 1. Juli 2021 Schluss machte - und das Glücksspiel kontrolliert legalisierte. Online-Casino-Anbieter müssen jetzt ein suchtvorbeugendes Sozialkonzept für verantwortungsvolles Spielen nachweisen. Verboten sind Tischspiele wie Blackjack, Roulette und Baccara, Live-Casino und Wetten bei mehreren Online-Casino-Anbietern gleichzeitig. Zwischen 6 und 21 Uhr herrscht Werbeverbot, das Einzahlungslimit wurde auf 1.000 Euro gedeckelt. Außerdem gibt es eine bundesweite Spielersperrdatei sowie einen Panik-Button, mit dem sich Zocker für 24 Stunden selbst sperren können.
Twitch: Seit 18. Oktober 2022 striktere Regeln
Twitch will das Streamen bestimmter Seiten mit Spielautomaten, Roulettepartien und Würfelspielen sanktionieren, die keinen ausreichenden Verbraucherschutz bieten - darunter Stake.com, Rollbit.com, Duelbits.com und Roobet.com; weitere sollen folgen (mehrere Seiten hatten darüber berichtet). Auch die Weitergabe von Casino-Links und Werbecodes durch Streamer an die Community sei nicht zu tolerieren - und ist mit der Richtlinienänderung vom 18. Oktober 2022 verboten. Poker, Fantasy-Sport und Sportwetten dagegen sind weiter erlaubt. Vom Twitch-Verbot leider nicht erfasst: Lootboxen wie FIFA 23.
Dennoch tut sich was: Neben dem Netflix-Plan (dazu wurde hier berichtet), eigene Abo-Games ohne Werbung und In-Game-Käufe zu entwickeln, sind in einigen Ländern Lootboxen nun transparent als Glücksspiel gekennzeichnet. Oder schon ganz verboten wie in Belgien oder den Niederlanden. So enthält Diablo Immortal von Blizzard ein Lootboxen-System, doch nationale Glücksspielbeschränkungen verhindern die Veröffentlichung. Zwei Lichtblicke, die Hoffung machen!